Was ich schon immer mal sagen wollte …
Wieso hatte Hitler so einen Erfolg und ganz Deutschland ist ihm hinterhergelaufen, wie einst die Kinder dem Rattenfänger?
Diese Frage hat mich all die Jahre nicht losgelassen.
Bis zu meinem Tod habe ich alles totgeschwiegen, nie über diese Zeit ein Wort verloren. Auch in meinen Memoiren habe ich darüber keinen Satz geschrieben, habe aber fast alle persönlichen Dokumente und Unterlagen aufgehoben, damit meine Enkel später sich ein eigenes Bild machen könnten. Wir haben für den Jubel und die Zustimmung in der Nazizeit mit der Vernichtung unserer Existenz 1945/48 bezahlt. Also warum altes Zeug hervorkramen, ich habe das Ganze all die Jahre tief vergraben.
Aber nun muss ich mir das jetzt alles Mal von der Seele reden, respektive schreiben:
Die Zeit nach dem Großen Krieg war nicht einfach für uns. Alles schien aus den Fugen geraten zu sein. Die Niederlage von 1918 saß tief; das Heer weit im Feindesland stehend und trotzdem kapituliert? Schon bald kam die Dolchstoßlegende auf (wir konnten nicht das falsche Spiel der Generalität durchschauen). Ob es das Geld war, was Anfang der zwanziger Jahre wertlos wurde, die politischen Zänkereien, die kriegsähnlichen Straßenschlachten und dann die Weltwirtschaftskrise mit ihren existenzzerstörenden Auswirkungen Ende der Zwanziger und noch weit in die Dreißiger hinein, das alles war zutiefst depressiv. Wo war das Ende des Tunnels?
Wir sehnten uns gerade zu, nach der guten alten Zeit zurück, der Friedenszeit, als alles noch im Lot war.
Doch diese Zeit war unwiederbringlich verloren und vorbei.
Ende der 20er und Anfang der 30er schlug die Weltwirtschaftskrise voll durch. 1932 waren 6 Millionen Menschen ohne Arbeit bei 13 Millionen, die noch Arbeit hatten.
Da unsere Kunden schon immer aus betuchtem Hause stammten, spürten wir die Krise nur bedingt. Sommermeyer’s zum Beispiel hatten die Ziegelei schließen müssen und Max ging „stempeln“, wie man damals den Bezug von Sozialleistung nannte.
1925 hatte sich die NSDAP neu gegründet und Anfang 1930 fasste sie in Thüringen Fuß. Ihr Wahlprogramm las sich wie ein heilsbringendes Etwas. Die guten alten Zeiten schienen wieder möglich. Warum nun gerade in Thüringen die Saat der NSDAP vor 1933 „aufging“ und sie 1929 bereits 2 Minister stellen konnte bevor sie dann 1932 mit über 42% der Stimmen die Regierungsgewalt übernahm, kann ich nicht mehr sagen.
Mit Sicherheit gaben sie uns unsere Würde und den Stolz zurück, die doch beide in den letzten Jahren so unter die Räder gekommen waren. Das das auf Kosten anderer Bevölkerungsgruppen, wie zunächst den „entarteten Künstlern“ (exemplarisch sei hier nur das Weimarer Bauhaus genannt), den Schriftstellern, den Gewerkschaftlern, den kommunistischen und den sozialdemokratischen Politikern und Funktionären und schon bald auch und vor allem den Juden ging, war uns damals nicht bewusst.
Für alle gab es die Droge des nationalen Sozialismus. Es wurde die Deutsche Arbeitsfront installiert in der die Arbeiter, Ingenieure und, das war völlig neu und einmalig, auch die Unternehmer, also die Chefs, organisiert waren. Die Ausbeutung war ein für alle Mal abgeschafft. „[popup_anything id=“1511″]“
Wo und wann gab es so etwas schon einmal?
„Als sich … 80 Millionen auf die Suche nach dem gefürchteten jüdischen Großvater machten, war eine Art Einweihungsritual erreicht: Jedermann kam aus der Sache mit dem Gefühl heraus, zu einer Gruppe von >Eingeschlossenen< zu gehören, denen eine imaginäre Masse von >Ausgeschlossenen< gegenüberstand.“ (Arendt, Hanna Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft, München 1996, S. 549). Ja, das war es! Wir gehörten von nun an zu den Guten, die Bibel würde von den Auserlesenen sprechen. Meine Töchter, meine Dina und ich gehörten der „Elite Deutschlands“ an. Welch schicksalhafter Irrtum!
Sie boten in ihrer Propaganda die Lösung aller nationalen Fragen an, gleich verbunden mit der Antwort auf die Frage aller Fragen „wer ist schuld, am Niedergang Deutschlands“. Für fast alles wurde subjektive Schuld bei einer einzigen Bevölkerungsgruppen propagiert: Den Juden!!
Und wir? Wir glaubten das. Fragten nicht, wie das der kleine „Jüd“ von nebenan anstellt, den nächsten Krieg vorzubereiten. Waren wir doch diesen „Ausgeschlossenen“ weit überlegen (zu mindestens dachten wir damals so).
Es ging aufwärts, nur das zählte. Das da Opfer „notwendig“ waren und gebracht werden mussten, war wohl jedem bewusst und wurde so als etwas Natürliches hingenommen. Nicht unerwähnt muss dabei die aggressive, polarisierende und segrationäre Propaganda der Nazis bleiben. Sie kannte nur Freund oder Feind. Dazwischen gab es nichts. Mehr als einmal blieb ein bitterer Nachgeschmack zurück, der allerdings bei uns nur kurze „Beschwerden“ hinterließ, doch nicht ernst oder einfach nur nicht wahrgenommen werden wollte. Und unseren Freunden und Bekannten erging es genauso, so dass man sich gegenseitig die Richtigkeit der Ereignisse bestätigte. Wir standen auf der richtigen Seite! Und gut war es! In unserer Blase war die Welt schlüssig.
Und im Januar 1933 mit der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler und dem Wahlsieg der NSDAP im März griff auch wieder Recht und Ordnung im öffentlichen Leben. Nicht zuletzt, weil im Februar am Rosenmontag der Reichstag brannte und die neue Regierung das zum Anlass nahm, um hart und brutal durchzugreifen und mit allen Gegnern unabhängig ihrer sozialen Herkunft abzurechnen. Seit dieser Zeit wussten wir eigentlich über die „KL“ (Konzentrationslager, später als KZ bezeichnet) bescheid. Sahen aber keine Veranlassung darüber zu befinden. Sie waren da und damit wars genug. Für uns bedeuteten die Lager keine Bedrohung, ganz im Gegenteil.
Die endlosen Diskussionen im Reichstag und das Ausbleiben der staatlichen Autorität gehörten der Vergangenheit an. Endlich!
Alle uns zugänglichen Quellen, wie Zeitung, Radio und der Wochenschau im Kino, berichteten nur noch überschwänglich über die NEUE ZEIT und ihrem,
U N S E R E M Führer.
Diese „Neuordnung“ ging mit einem beispiellosen wirtschaftlichen Aufschwung einher. Die Propaganda lief auf Hochtouren und demnach hatten wir nur Hitler den wirtschaftlichen Aufschwung zu verdanken, obwohl doch schon 1932 erste Anzeichen zur wirtschaftlichen Erholung sich ankündigten. Und so fühlten wir auch: Heil unserem Führer!
Auch in seiner Außenpolitik gab der Führer uns das so lang vermisste Gefühl „wir sind wieder wer“ nach Jahren der Erniedrigung und völliger Hilflosigkeit und Ausgeliefertsein zurück. Der Status des entmilitarisierten Rheinlandes wurde im März 1936 nach fast 18-jähriger Besetzung durch alliierte Truppen handstreichartig beendet. Hitler holte in den kommenden Jahren alle Volksdeutschen (außer die Südtiroler) heim ins Reich. Zur „Krönung“ 1938 sogar seine ihm ekstatisch zujubelnden österreichischen Landsleute, die allerdings nach dem Krieg von dieser Begeisterung nichts mehr wissen wollten.
Die Sache mit dem Autobahnbau-Programm wurde auch Hitler gutgeschrieben. Obwohl dieses Streckennetz (Planungen erfolgten ab dem Anfang der 20er Jahre) bereits 1932 als Arbeitsbeschaffungsprogramm „aufgelegt“ wurde. Aber wir alle jubelten Hitler zu, als den Retter und Heilsbringer der Deutschen.
Ja, wie soll ich sagen, die Kassen klingelten, die Wirtschaft kam aus der Krise, nicht zuletzt durch die Wiederbewaffnung. Die Menschen hatten wieder Zutrauen in die Zukunft. So waren viele Menschen zufrieden mit sich und der Neuen Zeit.
Viele, sehr viele, man ist geneigt fast zu sagen A L L E arrangierten sich, selbst ehemalige Gegner wollten von nun an mit dazu gehören zu denen, die Deutschland neues Leben einhauchten und das Land wieder zu alter Stärke führen würden und dabei ihr persönliches Wohlergehen als ein Stück vom großen Kuchen abzukriegen.
An den im Frühjahr 1933 einsetzenden Sturm auf die Mitgliedschaft in der NSDAP beteiligte ich mich auch. Meine Kunden waren fast ausnahmslos stramme, deutschnational gesinnte Männer, die die neue Zeit mehr als begrüßten. Zudem war ich schon 1920 in den Stahlhelm und wenige Wochen später in die Deutschvölkische Freiheitspartei eingetreten.
So kam es, dass ich mit vielen meiner Kunden schon seit Jahren „auf einer Wellenlänge“ schwamm. Folgerichtig wollte ich jetzt der ganzen Sache die Krone aufsetzen, um zur creme de la creme zu gehören. Zu Führers Geburtstag am 24. April 1933 stellte auch ich den Antrag auf Mitgliedschaft in der NSDAP. Ich wollte auch auf der Seite der Sieger stehen und auf keinen Fall abseits. Niemand konnte ahnen, dass aus München ein Aufnahme Stopp verhängt werden würde (es sollten die alten Gegner, wie KPD- oder SPD-Mitglieder nicht einfach nun NSDAP-Mitglieder werden können). Durch die seit Jahren bestehende ADAC-Mitgliedschaft war ich „automatisch“ im NS-Kraftfahrer-Korps (NSKK) gelandet, das auch eine Organisation der NSDAP war. „Gute Freunde“ rieten mir gut zu, einen Antrag auf Aufnahme in die SA zu stellen. So hätte ich wenigstens schon einen Fuß in der Tür und diese Entscheidung würde sich positiv auf das Aufnahmeverfahren in die NSDAP auswirken. Und so kam es, dass ich am 15. Juni 1933 um Aufnahme in die SA bat. Dort wurde ich bis zum Oberscharführer (entsprach bei der Wehrmacht: Unterfeldwebel) befördert (09.11.1937).
Aber bereits im August wurde ich rückwirkend zum 1. Mai 1933 (wiedererwarten schon) Parteimitglied in der NSDAP. Es war ein Hochgefühl, dass ich Jahre später so nicht mehr nachvollziehen konnte.
Aber wie gesagt, das „Fremdschämen“ sollte sich erst später einstellen. Bis dahin durchlebten wir, Dina, unsere beiden Töchter und ich eine glückliche, vielleicht meinten wir sogar unsere glücklichste Zeit in unserer Ehe. Dem Land ging es gut, und wir partizipierten daran in erheblichem Maße. Wie übrigens Sommermeyer‘ s auch. Obwohl Max erst 1934 die Ziegelei wieder anfahren konnte, führte er in den nächsten Jahren die Ziegelei zu einem Vorzeige-Unternehmen, was ihm 1938 auch den Titel „NS-Musterbetrieb“ und jeweils in den Jahren 1939 – 1941 die „Goldene Fahne“ der Deutschen Arbeitsfront einbrachte.
Dazu kam meine Tätigkeit in der „Privilegierten Schützengesellschaft Gera seit 1660“ bzw. im Thüringischen Schützenbund, in denen ich maßgebliche Verantwortung und Führungsaufgaben übernahm. Ich war im gesellschaftlichen Leben, nicht nur als Geschäftsmann, sondern auch als Persönlichkeit hoch angesehen und hatte überall meine Beziehungen.
Man hatte das Gefühl, das ganze Deutschland marschiert im Gleichschritt zu immer neuen Höhepunkten. 1936 die Sommer- und Winter-Olympiade in Berlin und Garmisch-Partenkirchen. Deutschland war für wenige Wochen der Mittelpunkt der Welt.
1938 im März der Anschluss Österreichs, dann das Münchner Abkommen im September und im Frühjahr 1939 die „Zerschlagung“ der Resttschechei – alles Erfolge Hitlers auf dem Weg „Deutschland ist wieder wer“, „an uns führt kein Weg mehr vorbei“ – „wir lassen uns nichts mehr gefallen“.
Im November 1938 brannten in Deutschland die Synagogen. Auch die in Gera am Roßplatz. Wir durchschauten die Goebbels‘ sche Propaganda nicht, die nun den Juden für alles verantwortlich machte (für was denn eigentlich; also auf Anhieb konnte ich diese Frage zu keiner Stunde aus dem „Stand“ beantworten), so dass der „Volkszorn sich folgerichtig“ an ihnen entlud.
Für was „alles“ der Jude eigentlich „bezahlen“ musste, danach haben wir nicht gefragt. Das Gefühl war kein gutes dabei, keiner unserer Freunde oder Bekannten unternahmen etwas dagegen sowie wir auch nicht. Gegenseitig bestätigten wir uns im Freundeskreis, im Nichthandeln und schufen uns so einen gemeinsamen Referenzrahmen, man möchte sagen eine heile Welt, beruhigten so unser Gewissen.
Die immer mehr anziehenden Repressalien gegenüber den Juden, dass sich beispielsweise im Durchgangsverbot des Knochenparks (heute Park der Jugend) in Gera, damals „Horst-Wessel-Hain“ an der Trinitatiskirche für sie pervertierten, registrierten wir alle wohl ganz genau, waren aber nicht willens nachzudenken oder Diskussionen aufkommen zu lassen. Eher kam die nebulöse, anonyme, selbstbeweihräucheriche Haltung auf, das haben sie nun davon. Unser selbst geschaffene „heile Welt“ war schlüssig.
Als dann später immer mehr der jüdischen Mitbürger „verschwanden“, war das eigentlich für uns nur die konsequente Umsetzung der schon lange angezeigten Volksbereinigung bzw. „Volkshygiene“. Für uns, die kaum Kontakt mit Juden hatten, war das anonym und dadurch auch in Ordnung. Wir machten uns auch keine großen Gedanken, was mit den zurückgelassenen Möbeln, dem ganzen Hausrat geschah. Wir gingen zu den Auktionen nicht hin, wo das widerrechtlich erworbene, mobile Eigentum der Deportierten feilgeboten und versteigert wurde. Was geschah mit den Immobilen und Vermögenswerten? Wohin eigentlich die Menschen gebracht und was mit ihnen geschehen würde? Wir fragten nicht!
Nun, für die „zurück gelassenen“ Sachen, Hausrat, Möbel und Immobilien fanden sich erstaunlich schnell neue Besitzer aus allen Schichten der sogenannten Volksgemeinschaft.
Namhafte Juden wurden schon Anfang der Dreißiger enteignet, wie u. a. die Familie Simson in Suhl, für die ich ja Autovertreter war. In Gera betraf das u. a. die Biermanns und Tietz‘. Alles hatte seine Richtigkeit. Wir sahen keine Juden mehr und damit war die Sache für uns erledigt.
Der nationale Höhepunkt des inzwischen fest installierten Führerkults war im April 1939 Hitlers 50. Geburtstag. Ein Land feierte sich selbst. Die neue Reichskanzlei an der Ecke Wilhelm-/Voßstr. in Berlin war beredtes Zeugnis für das neue Großdeutschland. Berlin erlebte die größte Truppenparade entlang der neu von Albert Speer geschaffenen Ost-West-Achse beginnend am Brandenburger Tor in seiner Geschichte mit mehr als 40.000 Soldaten und Offizieren. Alle dachten und hofften, dass Deutschland nun keine Forderungen mehr an Europa stellen würde. Wir wünschten uns, dass das Erreichte auf immer und ewig so bleiben sollte.
Dann Ende August 1939! Nichtangriffspakt mit der Sowjetunion – jetzt ist Europa befriedet, die Großen haben sich geeinigt.
Als am 1. September in Polen „zurückgeschossen wird“, sahen wir das als finale Notwendigkeit an, damit Deutschland e n d l i c h in Ruhe und nach seiner Fasson leben konnte. Aber irgendwie hatte unser Führer den Bogen überspannt und die Rechnung ohne unsere westlichen Gegner, allen voran den Engländern gemacht, die doch bis jetzt alles geschluckt hatten. Bis hier her und keinen Schritt weiter, war jetzt auf einmal ihr Standpunkt. Hatte er die Sache überreizt, die Engländer doch falsch engeschätzt? Frankreich und England erklärten Deutschland den Krieg. Wie 1914 griffen binnen weniger Tage, ja Stunden so will man meinen, die Bündnisse. Aber Kritik am Führer gab es nicht. Die alten Feinde gönnten Deutschland eben nicht den Aufschwung, so meinten wir, wie es uns die Propaganda eintrichterte.
Alle Menschen hatten immer noch die Schreckensereignisse von 1914/18 vor Augen und waren zunächst vom Krieg nicht begeistert, hatten Angst, dass es wieder keinen Sieg geben würde, wie wir auch. Das Leiden und der Tod, die tiefe Schmach, der Hunger und die Erniedrigungen sowie die tiefe Depression waren noch allgegenwärtig.
Aber unsere Wehrmacht eroberte Polen innerhalb von nur 6 Wochen und plötzlich war dieser Krieg ja gar kein Krieg, wie bisher bekannt und erlebt. Wir hatten einen grandiosen Sieg errungen (der uns allerdings mehr Menschenleben kostete als wir wahrhaben wollten und uns erzählt wurde) und das Nationalgefühl hatte eine neue Dimension erreicht – wir waren die Größten. Deutschland über allen.
Nun muss man allerdings festhalten, dass beim Anlaufen der ganzen Kriegsmaschinerie für uns als Einzelne immer weniger „Wahlmöglichkeiten und Handlungsalternativen, die die Pluralität der Rollen im zivilen Alltag bereithält“, gegeben waren. Der Teufelskreis war geboren. Nun hieß es „mit gefangen mit gehangen“.
Schon bald hatten wir unsere Kriegshelden, wie bspw. den Kapitänleutnant Günter Prien mit seinem Unterseeboot U47, das den Engländern eine peinliche Schlappe gleich im Herbst 1939 in Scapa Flow beibrachte, oder denkt man nur an die Fliegerasse wie Werner Mölders oder Adolf Galand.
Im Westen an der Maginot-Linie, oder wie wir sagten, am Westwall, tat sich im Herbst 1939 so gut wie nichts. England und Frankreich hatten uns zwar den Krieg erklärt, taten aber nichts, um uns zu „strafen“ oder gar Polen zu helfen, für das sie auf der Grundlage ihrer Bündnispolitik ja in den Krieg gezogen waren.
Dann im Mai 1940 der Frankreich-Feldzug. Auch hier war nach 6 Wochen mit der Kapitulation Frankreichs und der chaotischen Flucht des englischen Expeditions-Korps aus Dünkirchen Schluss.
Jetzt war die Kriegsstimmung in Deutschland spätestens gekippt. Nun waren alle für den Krieg, der uns ja von außen auf diktiert wurde, wie schon 1914. Deutschland stand voll und ganz hinter seinem Führer.
Lediglich die Familien, die ihren Mann, Sohn oder Bruder beweinten, taten sich schwer mit der Kriegseuphorie. Sie waren die Ersten, die Teile der sich in den nächsten Jahren auflaufenden Zeche bereits jetzt bezahlten.
Der Kriegsrausch 1940 bis zum Frühjahr 1941 nahm ganz Deutschland in seinen Bann. Die Wehrmacht eilte von Sieg zu Sieg und Europa war von Deutschland fast vollständig erobert. Lediglich die Schweiz war als Enklave noch eigenständig.
Der Überfall auf die Sowjetunion dann im Juni 1941 löste zunächst ein mulmiges Gefühl der Überschätzung unserer Kräfte aus. Die Anfangserfolge und der beinahe ungehinderte Marsch der Wehrmacht bis kurz vor Moskau bis in den Dezember, ließen alle Kritiker und Defätisten zunächst verstummen. Wieder einmal hatte Hitler bewiesen, Deutschland hat zu alter Größe zurückgefunden.
Aber das ungute Gefühl kehrte schon bald zurück, als wir angehalten waren im Rahmen des Winterhilfswerkes für unsere Soldaten warme Kleidung zu sammeln, da diese offensichtlich an der Front fehlte.
Auch die Berichte der Soldaten, die auf Urlaub von der Front weilten, über „notwendige“ Säuberungsaktionen im Hinterland der Ostfront und schon seit Anfang an in Polen, machten bald die Runde. Für uns alle noch kein Grund zu Beunruhigung – Krieg ist eben Krieg, das ist kein Zuckerschlecken. Schließlich muss einer die Drecksarbeit erledigen. Nur wenige Soldaten äußerten sich, wenn wir diesen Krieg verlieren, dann Gnade uns Gott. Diese Miesmacher wurden aber nicht „zugelassen“, das ließ man nicht gelten. Denn schon einmal hatte die Heimatfront ihre Soldaten im Stich gelassen, dass sollte sich nicht noch einmal wiederholen.
Unser Geschäft ging nach wie vor sehr gut. Nun kamen die Söhne unserer Bekannten und Kunden, mittlerweile alles Soldaten und Offiziere und kauften bei uns ihre persönliche Pistole vornehmlich der Marke Mauser, der besten Handfeuerwaffe der damaligen Zeit, ein. Auch Günter und Heinrich Sommermeyer besorgten sich bei „ihrem“ Onkel Erich die begehrten Pistolen.
Der Kriegsverlauf im Frühjahr und Sommer 1942 und die bereits als Sondermeldung verkündete Einnahme Stalingrads im tiefen, weiten russischem Steppenland am Wolgaknie sorgte für eine erneute Zuversicht, dass der Krieg auch in Rußland letztendlich doch gewonnen werden wird. Er würde eben nur etwas länger als die anderen Feldzüge dauern.
Ich kann nicht mehr sagen, wann die ersten Flüstermeldungen über die Einkesselung der 6. Armee in Stalingrad uns erreichten. Glaube aber im Nachhinein, dass diese Nachricht uns doch ziemlich zeitnah zukam, also schon Ende November Anfang Dezember 1942. Da offiziell keine Einkesselung stattgefunden hatte, hingen wir an den täglichen Radiomeldungen, und hofften doch noch auf Berichte und natürlich gute Nachrichten.
Umso größer dann der Schock am 30. Januar 1943 bei Görings Rede zum 10. Jahrestag der „Machtergreifung“. Stalingrad war in seiner Rhetorik bereits untergegangen. Mit viel Pathos sprach Göring vom Soldatsein und dass es dem Soldaten völlig gleichgültig sei, wo er stirbt. Hauptsache er dient dem Vaterland: [popup_anything id=“1479″]
Das empfand ich als äußerst geschmacklos den Opfern und ihren Angehörigen gegenüber, denn der Kessel hatte ja noch nicht kapituliert. Das geschah erst am 31. Januar bzw. 2. Februar 1943, wie wir dann aus der Zeitung erfuhren.
Dieser Schock wirkte paralysierend, keine Zuversicht mehr, die Bombardierung der Großstädte nahm stetig zu und von der Front nur noch planmäßige, rückwärtsorientierte Begradigungen. Alles sollte im Lot sein und war es schon lange nicht mehr – es ging bergab. So richtig wurde mir das klar, als auch im Sommer 1943 bei Kursk die letzte Offensive nach nur wenigen Tagen trotz neuer, modernster Panzer für die Wehrmacht zusammenbrach. Goebbels Sportpallastrede vom Februar 1943 „wollt ihr den totalen Krieg“ hatte nur kurzzeitig für neuen Mut gesorgt. Spätestens mit Kursk im Spätsommer war auch diese Euphorie dahin.
Im Frühjahr 1943 hatten meine Beziehungen endlich Erfolg. Günther Sommermeyer wurde nach mehreren vergeblichen Anläufen endlich zum Offizier befördert. Max hatte mich darum gebeten, hier mit aktiv zu werden und meine Beziehungen spielen zu lassen.
Das es wieder ein verlorener Krieg werden würde, zeichnete sich nun immer deutlicher ab – offiziell verlief alles planmäßig, alles fest in deutscher Hand.
Ich hatte auch keinen Vertrauten, mit dem ich mich austauschen konnte. Dina wollte ich mich nicht anvertrauen, ich hätte sie nur unnötigerweise beunruhigt.
Erika und Anneliese waren in der Schule so vom System vereinnahmt, dass sie auf keinen Fall dafür ein Gesprächspartner waren. Sie waren überzeugt, der Führer wird’s schon richten. Und meine Mutter lebte in ihrer eigenen Welt. Schrieb sich viel mit Amerika so lange wie das möglich war und auch mit Berlin pflegte sie einen stetigen Briefwechsel.
Immer öfter erreichten uns nun Nachrichten von Bekannten und befreundeter Familien, deren Sohn oder Vater gefallen war. Im Dezember 1943 dann die Schreckensnachricht aus Leumnitz, Günther war an der Ostfront schwer verwundet, liegt in Bad Harzburg und ringt mit dem Tod.
Ja, so kam eine Schreckensnachricht zur anderen, eigentlich wenige Meldungen waren dazu angetan noch an das gute Ende zu glauben. Wir waren mittendrin, keine Wahlmöglichkeit zu den täglich anstehenden Problemen, die uns über Rundfunk oder Zeitung erreichten. Wir funktionierten und beteten zu Gott, dass doch noch alles wieder erwarten gut werden würde.
Dann Sommer 1944 das Attentat auf Hitler. Ist denn jetzt die ganze Welt verrückt geworden! In dieser Situation ein Attentat zu veranstalten. Haben die nichts Besseres zu tun als unseren Führer, der Einzige der die Katastrophe noch abwenden kann, in die Luft zu jagen?
So habe ich damals gedacht und da war ich nicht der Einzige. Jahre später wurde mir erst klar, dass das Attentat eine Chance gewesen ist und die Männer sehr viel Mut bewiesen hatten. Sie waren keine Vaterlandsverräter! Ganz im Gegenteil! Sie standen bereits für ein neues Deutschland ein, ohne die braune, korrupte Kaste.
Dann ging alles eigentlich recht schnell. Am 6. April 1945 der größte Bombenangriff auf Gera dem u. a. das Schloss Osterstein zum Opfer fiel. Mehr als 400 Tote waren zu beklagen, die Innenstadt um den Roßplatz und Heinrichstr. herum waren schwer beschädigt, Wohnhäuser in der Plauenschen Str. bspw. völlig zerstört.
10 Tage später am 14. April besetzten die Amerikaner Gera. Der Krieg, d. h. die Kampfhandlungen waren für uns in Gera vorbei.
Für uns dauerte der Krieg noch weit über den 8. Mai 1945 hinaus an. Am 2. Juli 1945 wechselte die Besatzungsmacht von den Amis zu den Russen. Nachdem die Amis „alles“ hatten „mitgehen lassen“, kamen die Russen. Wieder gab es Plünderungen, von dem bisschen was noch da war. Unser „Waffen“-Geschäft wurde „folgerichtig“ im Dezember 1946 unter Sequester gestellt, auf Grund angeblicher Kriegsverbrechen meinerseits. Was Sportwaffen bzw. Jagdgewehre mit Kriegsverbrechen zu tun haben, hat mir keiner erklärt. Im September 1945 hatten mich die Russen sogar verhaftet (natürlich früh im Morgengrauen, wie das beim sowjetischen Geheimdienst NKWD üblich war) und im Lager Frankfurt/O. auf dem Weg nach Osten allerdings schon wieder nach Hause geschickt. Die Beziehungen zu den Russen, wir reparierten ihre Jagdgewehre, nutzte Dina für meine „Rückführung“.
Zum 30. Juni 1948 wurden unser Geschäft mitsamt dem privaten Wohnhaus enteignet. 26 Jahre waren weg, von heute auf morgen.
Im April 1949, wenige Tage nach der Geburt der Zwillinge mussten wir ausziehen.
Erst mit der Neugründung unserer Existenz Anfang der 50er und des zunehmenden Erfolgs des Zählgerätewerkes war der Krieg für uns wirklich überwunden.
Damals empfanden wir die Repressalien der Besatzer und natürlich auch ihrer deutschen Helfershelfer und die letztendlich vollzogene Enteignung als willkürliches Unrecht, obwohl doch eine Volksbefragung am 30.06.1946 in Sachsen stellvertretend für die SBZ stattgefunden hatte und mehr als 70% für die Enteignung von Kriegsverbrecher stimmten.
Ich war doch keine Kriegsverbrecher. Oder doch?
Wer von den neuen Bestimmern hatte mit mir noch eine Rechnung offen?
Wir waren doch nur Mitläufer, haben nur, wie viele andere auch, den Krieg mit verloren.
Viele Jahre später, vielleicht erst mit der Rede Richard von Weizsäckers am 8. Mai 1985 im Deutschen Bundestag, also 40 Jahre nach der bedingungslosen Kapitulation unseres Volkes wurde mir bewusst, was in den 12 Jahren Naziherrschaft mit uns geschehen war. Wir hatten einen hohen Preis mit dem Verlust unserer gesamten Existenz für den blinden Gehorsam bezahlt. Nicht zuletzt dafür, dass wir weggeschaut, unsere moralischen Bedenken weggewischt, unseren normalen Menschenverstand ausgeschaltet und uns blindlings auf das verlassen haben, was uns versprochen und prophezeit wurde. Haben uns erklären lassen, was wir doch gar nicht gesehen haben, was in der Wirklichkeit doch ganz anders aussah. Mit Euphorie und Begeisterung sind wir der „hohen Fahne“ blindlings gefolgt.
Was hätten wir tun sollen?
Hatten wir eine Wahl, eine Alternative in unseren Entscheidungen bzw. in unseren Unterlassungen?
Ich kann die Fragen nicht beantworten.
Wenn wir in die innere Emigration gegangen wären, hätte das was am Lauf der Dinge geändert?
Wie würde ich mich heute, wenn so was wieder passieren würde, verhalten?
Aus heutiger Sicht muss ich festhalten, dass diese Zeit in der absoluten Katastrophe für uns alle enden MUSSTE! Wir haben uns als Werkzeug benutzen lassen, haben zugelassen, dass die Würde des Menschen „angetastet“, in brutaler Weise mit Füßen getreten, gebrochen und vergewaltigt, zig Millionen unschuldiger Menschen getötet wurden.
Was bleibt ist ein dumpfes Gefühl von Schuld.
Die Erkenntnis kommt spät, sehr spät. Für unsere Enkel und deren Kindeskinder, hoffentlich nicht zu spät.
Nun, so viel wollte ich eigentlich gar nicht über diese schreckliche Zeit erzählen, aber jetzt fühl ich mich besser, denn das musste einmal gesagt werden.
Es hatte mich schon lange, sehr lange bedrückt und umgetrieben. Jetzt habe ich meine Ruhe gefunden. Konnte endlich darüber reden – schreiben.