Ernst & Clara Dießner
Meine Eltern heirateten am 18. Oktober 1881, dem 19. Geburtstag meiner Mutter Clara, in Diehsa in Sachsen, dem Geburtsort meiner Mutter. Kennengelernt hatten sie sich in Collm auf dem Rittergut.
Mein Vater Ernst, der am 11. November 1851 in Pließkowitz geboren wurde, hatte die dort ansässige Molkerei gepachtet. Clara arbeitete als Köchin auf dem Collmer Gut und stammte aus Diehsa.
In Collm wurden auch meine beiden Brüder Alfred (1882) und Richard (1884) geboren.
Da mein Vater an Rheumatismus erkrankte, musste er seinen Beruf aufgeben, das inzwischen erworbene Milchgeschäft in Breslau verkaufen und sich nach einem neuen Lebensunterhalt umsehen.
Er fand in Särka bei Weißenberg, Kreis Löbau eine Gastwirtschaft mit Kolonialwarenladen. Am 11. Februar 1895 erwarb er das Anwesen für 7.500,- RM (Jahreseinkommen eines Klempners bspw. 1.100,- RM). Neun Monate später am 25.11.1895 wurde ich als Nachzügler in Särka geboren. Meine beiden Brüder Alfred und Richard waren da schon 13 bzw. 11 Jahre alt.
Särka lebte vom Rittergut. Im Ort wohnten noch fünf selbständige Bauern und einige Handwerker. Alles andere war Eigentum des Rittergutes.
Als Vater später zum Bürgermeister der Gemeinde gewählt wurde, war er nach dem Rittergutsbesitzer der Ranghöchste im Dorf. Bei gesellschaftlichen Veranstaltungen musste Vater mit dem Pastor und dem Schulleiter die dörfliche Verbundenheit bekunden. So kam es, dass ich natürlich bei meinen Spielkameraden auch einen gewissen Rang, so zusagen von Geburt an, inne hatte.
Mein Vater, der ein ruhiger, sich selbst nie in den Vordergrund bringender Mensch war, kümmerte sich im Sommer ab 4.00, im Winter ab 06.00 Uhr um den Laden. Da kamen die Arbeiter vom Gut und holten ihren Trinkbranntwein für den Tag. Manchmal zusätzlich noch in der Mittagspause und natürlich zum Feierabend. Der wurde dann aus Viertel-Liter-Flaschen getrunken. Bier wurde kaum konsumiert.
22-prozentiger Trinkbranntwein der Fa. Hühnlich aus Wilthen. Monatlich wurde dieser in 500-l-Fässern mit dem LKW angeliefert. Jeden Monat ein LKW.
Im Laden war es üblich, dass die Woche über auf Pump eingekauft wurde. Am Samstag wurde abgerechnet und bezahlt, der Abendschoppen ging dann schon auf die neue Woche.
Auch die Schloss- und Werksküche bezogen ihren Bedarf bei uns. Zur Erntezeit gab es Branntwein für die Arbeiter – eine Milchkanne ohne und eine mit Likör gemischt. Am Monatsende ging Mutter aufs Gut zur Verwaltung, um abzurechnen.
In meinem letzten Schuljahr 1909 haben Vater und ich einige Radtouren unternommen, so zum Bautzener Wochenmarkt. Auf der Rückfahrt kehrten wir ein, mein erster Alkohol: eine Flasche Selters und ein Glas Weinbrand.
Meine Mutter traf in allen Familienangelegenheiten die Entscheidungen und trug somit auch die alleinige Verantwortung.
Mutter besorgte früh den Stall mit unserer Angestellten, die immer aus ihrer Heimat Diehsa kam und bei ihr u. a. das Kochen lernte. Dann wurde gefrühstückt. Anschließend wurde meine Kleidung überprüft, der Ranzen auf Vollständigkeit gesichtet und mein Frühstücksbrot verstaut.
Dann so gegen 9.00 Uhr kamen die ersten Kunden in den Laden. Am späten Vormittag wurde das Mittagessen gekocht.
Nach dem Mittagessen ging sie ins Dorf, um Kranke und Wöchnerinnen mit warmen Essen zu versorgen. War das erledigt ging‘s an meine Schulaufgaben, doch darüber an andere Stelle mehr.
Nun konnte sie ihrem Hobby frönen, dem Gemüsegarten. Sie hatte als eine der ersten im Dorf einen Tomatenstrauch gepflanzt. Lediglich zur Zierde, man aß die Tomaten noch nicht.
Die notwendigen Schreibarbeiten des Bürgermeisters erledigte meine Mutter. Deshalb fuhren zur wöchentlichen Dienstbesprechung zur Amtshauptmannschaft Löbau Vater und Mutter immer im Wechsel. So kam Mutter jede zweite Woche nach Löbau, besuchte im Anschluss an die Behördentätigkeit die Lieferanten. Das wichtigste aber war zum Schluss der Besuch des Cafés „Honigbrunnen“. Das war ihre große Leidenschaft: Kaffee und Torte.
Die schönsten Erinnerungen an meine Eltern habe ich an die herbstlichen Sonnabende 1913 bis zu meiner Militärzeit im Oktober. Ich war seit dem Frühjahr als Büchsenmachergeselle bei meinem Lehrmeister Heinze in Löbau angestellt und kam erst mit dem letzten Zug am Samstag nach Hause. Nach dem Essen tranken mein Vater und ich ein Glas Grog aus Wilthener Weinbrandauslese und meine Mutter knabberte ihre Tafel Schokolade. Sie trank keinen Alkohol.
Die Atmosphäre in unserem Stübchen in Särka und an den Duft des Grogs habe ich mich mein Leben lang erinnert und war für mich immer gleichbedeutend mit H E I M A T und G E B O R G E N H E I T.
Vom 27. bis 31. Juli 1938 fand in Breslau das Deutsche Turn- und Sportfest statt. Wir waren mit einer starken Delegation bei den Schießwettbewerben vertreten.
Auf der Heimfahrt fuhren wir über Särka. In Gera kam schon vor der Fahrt nach Breslau die Nachricht an, dass Ernst keinen Lebensmut mehr hätte.
Bei unserem Besuch bestätigte sich diese Nachricht. Wir wollten ihn animieren, ein Stück bei diesem herrlichen Sommertag durchs Dorf zu gehen, aber Ernst war zu nichts zu bewegen.
Fast teilnahmslos saß er in seinem Sessel. Der Abschied fiel uns schwer, ahnungsvoll fuhren wir in unseren Gedanken versunken die weite Streck schweigend heim.
Ende September dann der Anruf aus Särka, dass Ernst gestorben sei.
Weihnachten dann, nachdem Ernst begraben und die Formalitäten alle erledigt waren, haben wir Meine Mutter mit nach Gera genommen. Wir waren der Meinung, dass wäre für sie das Beste.
Dort starb sie im Mai 1948. Beigesetzt haben wir sie in Kotitz neben ihrem Ernst.