Richard Dießner
Richard war zu meiner Geburt 11 Jahre alt. Da er oft nach Särka kam, hatte ich zu ihm immer einen guten Kontakt, der kleine zum großen Bruder. Er war immer für mich da.
Richard erlernte den Beruf eines Sattlers. Als echter Handwerksbursche ging er auf die Walz, die ihn bis in die Schweiz führte.
Wie mein großer Bruder Alfred, blieb auch Richard nach seiner Militärzeit, die er bei den Gardejägern in Potsdam leistete, in Berlin „hängen“. Er gründete hier seine Familie. Zur Hochzeit mit Clara fuhren Mutter und ich nach Berlin. Clara eine echte Berlinerin mit Herz und Schnauze kam in unsere Familie.
Im Krieg wurde er von seinem Regiment eingezogen und nahm wie ich am Vormarsch durch Belgien nach Frankreich teil. Später wurde dann sein Regiment an der Höhe Hartmannsweiler Kopf im Elsass eingesetzt bevor es dann 1916 nach Mazedonien verlegt wurde. Das Kriegsende erlebte er in Berlin, seine Einheit befand sich hier bereits seit Anfang November.
Richard ging zur Berliner Berufsfeuerwehr und wurde dort verbeamtet. In Kreuzberg, Wilmsstr. 19 wohnte er in der Dienstwohnung auf dem Gelände der Feuerwache Urban. Die Feuerwache ist heute noch in Betrieb, ist eine der 35 Wachen in Berlin.
Ende der zwanziger Jahre verstarb Clara ganz plötzlich.
Im Delikatessengeschäft Enge am Hermanns Platz fand er das Lebensmittelgeschäft seines Vertrauens für den täglichen Einkauf, den er ja nun selbst erledigen musste. Es gab dort alles was er brauchte, aber das war nicht der Punkt. Ihm hatte es Hedwig Corbie hinter dem Ladentisch angetan. So kam es wie es kommen musste, Richard hielt um ihre Hand an und im Sommer 1936 wurde in Särka geheiratet. Leider konnten Dina und ich nicht an dieser Feier teilnehmen, da Catharina, Dinas Mutter, in Breisig im Sterben lag und Dina zur letzten Pflege an den Rhein eilte. Ich musste mich derweil ums Geschäft kümmern.
Ihre Hochzeitsreise machten die beiden nach Stettin.
Richard kam mit seinen drei Schwägerinnen sehr gut aus, war so etwas wie der Hahn im Korb bei Familie Corbie. Als 1933 seine Schwägerin Frieda mit ihrem jüdischen Mann nach Chile auswanderte, blieb Ursel deren 10-jährige Tochter in Berlin zurück. Sie wuchs nun bei den Großeltern auf und wurde von den Frauen (Tanten und Oma) verwöhnt, zumal die Schwestern alle keine Kinder hatten.
Nach dem Krieg kommt Friedas Mann allein, ohne Frieda nach Deutschland zurück. Sie blieb in Chile und wird ihre Tochter Ursel nie wiedersehen.
Nun kamen Hedwig und Richard zusammen nach Särka, oft zur Sommerfrische. So kam es, dass unsere Töchter Erika und Anneliese ein sehr gutes Verhältnis zu Tante und Onkel aus Berlin hatten.
Anfang der dreißiger Jahre hatten sie Erika in den Ferien nach Berlin eingeladen. Hedwig ging mit ihr ins Adlon Kaffee trinken, Richard zeigte ihr die Feuerwache. Die Stange an der die Feuerwehrleute beim Alarm herunter rutschten, hatte es ihr am meisten angetan. Noch auf dem Bahnhof in Gera kurz nach ihrer Ankunft, erzählte Erika als erstes von dieser Stange.
Richard bringt es bis zum Oberbrandmeister bei der Berliner Berufsfeuerwehr. In den Bombennächten der vierziger Jahre ist die Feuerwehr nicht nur in Berlin chancenlos und es gilt eigentlich nur, noch Schlimmeres zu verhindern. Es muss für die Feuerwehr die Hölle gewesen sein, nicht helfen zu können.
Im April 1945 dann der Einmarsch der Russen in Berlin. In den Berliner Feuerwachen haben jeweils alle Feuerwehrleute anzutreten. Die Russen halten sie für Militärangehörige auf Grund ihrer paramilitärischen Uniformen. Vom Hof geht es direkt in die russische Kriegsgefangenschaft.
Ende 1946 kommt Richard nach Hause, von der Gefangenschaft in Litauen gezeichnet. Er wird sich davon nicht mehr erholen und stirbt im Januar 1947.
Im September 1945 nach meiner Entlassung aus russischer Kriegsgefangenschaft in Frankfurt/O., endete unser Zug am Ostbahnhof. Ich verabredete mich mit Hedwig für mittags im Wartesaal des Ostbahnhofes. Da noch Sperrstunde galt, ging ich vorher direkt zu Hedwig in die Wilmsstr., wo ich sie auch antraf.
Diese Stunden bei Hedwig bleiben unvergessen: gründliche Körperpflege, Rasieren und nach langer Zeit ein warmes Essen und ein frisches Bett. Ich weiß, dass vergesse ich meinen Lebtag nicht mehr.
Auch die kommenden Jahre haben wir den Kontakt zu Hedwig gehalten, haben uns auch besucht. Ursel hatte Anfang der 50er Jahre ihren Paul Krone geheiratet. Die Familie war komplett, als im September 1951 ihre Tochter Monika geboren wird.
Ende der 50er, Anfang 60er Jahre kam dann Monika mit ihrer Tante Hedi regelmäßig im Sommer nach Gera auf die Hammelburg.
Sonntag, der 13. August wird wohl immer unvergessen bleiben. Uns in Gera besonders, da Hedwig, die zwar im Ostteil Berlins wohnte und bei der Mitropa im Ostbahnhof beschäftigt war, eine ihrer beiden Schwestern aber wohnte im Westteil der Stadt. Sie war fassungslos was sie da im Fernsehen sah. Sie konnte nicht glauben, dass sie nun ihre Schwester nicht mehr sehen könne und reiste am Montag mit Monika überstürzt ab.
Für unsere beiden Enkel Peter und Klaus wurde Ursel eine jederzeit hilfsbereite, Wunder sofort erfüllende und an wohl jeder Quelle in Berlin sitzende Tante, die ein weites Herz für die Beiden hatte.
Klaus hat sie gleich zweimal beim Bauen geholfen, 1972 beim Ausbau der Bäckerei zur Wohnung und dann beim Eigenheimbau 1988. Auf Klaus Frage: „Tante Ursel, kriegst du das hin? Macht es große Schwierigkeiten, dass zu besorgen?“, kam lediglich die lapidare Antwort: „wann willst’ n komm‘?“
Ich weiß nicht mehr ganz genau, wann Hedwig gestorben ist, es muss wohl Anfang der 70er Jahre gewesen sein. Monika war mit Norbert verheiratet und Sebastian war wohl schon geboren.
Und nun hält die dritte Generation die Familienbande hoch, die Berliner Mischpoke war und ist bei allen Familienfeiern immer mit dabei.
Ich glaube, dass wäre auch in Richards Sinn gewesen. Manchmal fehlt er mir sehr mit seiner Ruhe und seinem Humor.
Dann spreche ich mit ihm, und wir müssen beide lachen über die ollen Kamellen damals in Särka mit unseren Eltern, die doch schon sooooo einen Bart haben.