Rückgabe vor Entschädigung
Dieses Thema hat die Deutschen in Ost und West im Prozess der Wiedervereinigung der beiden Staaten doch ziemlich beschäftigt, und das nicht erst ab 1990.
Ich habe versucht hier „alles“ mal abzuhandeln, damit in den kommenden Jahren nachgelesen werden kann, wie das alles gekommen ist. Also lieber Leser, etwas Zeit mitbringen.
Hier geht es um die Enteignungen zwischen 1945 und 1948, die auf besatzungsrechtlicher Hoheit durch die Sowjetunion in ihrer Besatzungszone vorgenommen wurden. Diese Enteignungen wurden unterschiedlich gehandhabt. Bei Unternehmen wurde zunächst alles unter Sequester (wie bei meinen beiden Großvätern) gestellt, die Großbauern, Privatbesitz und Ländereien der Adligen bspw. wurden sofort enteignet. Die Gartenanlage auf der Hammelburg, die auf fürstlichen Grund und Boden 1946 errichtet wurde, wäre so ein Beispiel. Es entstanden in der SBZ so auch die Neubauernhöfe für Vertriebene (hier nannte man sie Umsiedler) und Landarbeiter, allesamt auf enteignetem Grund gegründet, schätzungsweise 500.000 Personen.
Mit der am 8. Juli 1945 erfolgten Gründung der Länder Mecklenburg, Brandenburg, Thüringen, Sachsen-Anhalt und Sachsen in der SBZ ging die Legislative schrittweise auf diese Länder über. Die Russen, um mal pauschal zu argumentieren, hatten „alles“ unter Sequester gestellt und die neuen Bestimmer mussten die vorgemerkten Enteignungen erfassen, bewerten und (gegebenenfalls) durchführen („Für die Erfassung und Sicherung der zu sequestrierenden Vermögenswerte zeichneten entsprechend der SMAD-Befehle Nr. 124 und 126 die deutschen Selbstverwaltungsorgane verantwortlich.“ … „Zur Gewährleistung der einheitlichen und schnellen Durchführung der Sequestrationen in der SBZ erließ die SMAD am 29. März 1946 den Befehl Nr. 97 und gab die Bildung der Zentralen Deutschen Kommission für Sequestrierung und Beschlagnahme (ZDK) bekannt. Gleichzeitig wurden die gesamten sequestrierten und konfiszierten Vermögenswerte, mit Ausnahme der in einer Sonderliste verzeichneten Objekte, zur Nutzung an die deutschen Selbstverwaltungen übergeben.“ zitiert aus: http://www.argus.bstu.bundesarchiv.de/DO3-24411/index.htm?kid=e1c6eefd-f347-43bf-937a-ed989e4d058d).
Das führte über 40 Jahre lang auf dem Gebiet der ehemaligen SBZ und späteren DDR zu einer neuen Eigentümer Struktur, die bspw. mit der parallel entstandenen Bundesrepublik sehr, sehr wenig gemein hatte. In der DDR wurde das Volkseigentum geschaffen („Volkseigentum ist eine besondere Form des Eigentums, das im Gegensatz zum Eigentumsbegriff des Bürgerlichen Gesetzbuches in sozialistischen Rechtsordnungen mit einem dichotomischen Eigentumsbegriff zu finden ist. Der Begriff des Volkseigentums wird teilweise als irreführend angesehen, weil weder das Volk Inhaber des Volkseigentums sei noch dem Volk als Ganzem („jedermann“), sondern nur einzelnen Beliehenen das Nutzungsrecht an volkseigenen Vermögensgegenständen zustehe.“ Zitiert aus: https://de.wikipedia.org/wiki/Volkseigentum0). Das mal in aller Kürze zu den bis zum 9. November 1989 in der DDR gewachsenen Eigentumsverhältnissen.
Noch eine Information vorweg, bevor wir uns der Problematik ausführlich widmen. Im Jahre 2004 hat die junge Doktorandin Constanze Paffrath in ihrer Dissertation auf fast 400 Seiten diese politischen Vorgänge zwischen 1989 und 1990 wissenschaftlich untersucht und ihre Ergebnisse in beeindruckender Art und Weise dargelegt (sie hat ihre Dissertation mit summa cum laude verteidigt). In dieser Arbeit hier, dieser persönlichen Darstellung der damaligen Ereignisse beziehe ich mich schwerpunktartig auf diese Dissertation:
Macht und Eigentum Die Enteignungen 1945 – 1949 im Prozeß der deutschen Wiedervereinigung (2004 Böhlau Verlag Köln Weimar Wien).
So nun zum Thema: Rückgabe vor Entschädigung
Kohl hatte im Wahlkampf im Frühjahr 1990 versprochen, dass die 1946 bis 1948 (auch die bis 1949 enteignet wurden, hier aber nicht berücksichtigt werden) enteigneten Immobilien, Ländereien, Unternehmen, etc. in der früheren SBZ, jetzt DDR zurückgegeben werden sollen. Er verhielt sich so konform zum Eigentumsbegriff nach Art. 14 GG der Bundesrepublik. Dieses Versprechen stand im Gegensatz zur Forderung des letzten DDR-Ministerpräsidenten Hans Modrow, der den Bestand der „Bodenreform“ (unter diesem Begriff plakatierte diese Problematik) als unabdingbar forderte.
Die Modrow-Regierung strebte eine Entschädigung der zwischen 1945 und 1948 (respektive 1949) erfolgten Enteignungen durch die Sowjetische Militäradministration (SMAD) und später der Landesregierungen der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) an. Sie solle aus dem Vermögen der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) bezahlt werden, dem in der DDR vorhandenen Volkseigentum (nahezu alle Betriebe nannten sich ja VEB – Volkseigener Betrieb). So kam es zum Ende der Jahre 1989 und Anfang 1990 noch zu umfangreichen Transaktionen von Grundbesitz in der DDR – das sogenannte Modrow-Gesetz (eigentlich war es ein ganzes Paket im März 1990, kurz vor der Wahl). Die „jetzigen Besitzer“ (in der Regel Pächter auf Lebenszeit) den enteigneten Grund und Bodens „konnten legal“ nun alles vorzugsweise käuflich erwerben – zu DDR-Boden-Preisen, die nichts mit der Realität zu tun hatten.
Obwohl Modrow mit diesen Gesetzen Tatsachen geschaffen hatte, schien seine Taktik nicht aufzugehen, da Kohl nach wie vor an der „Rückgabe vor Entschädigung“ festhielt.
Natürlich suchte Modrow in Moskau Verbündete. Doch der Neue in Moskau, Michail Sergejewitsch Gorbatschow tat sich schwer mit der Unterstützung der DDR-Administration, da er sich u. a. die Option aufrechterhalten musste, mit Helmut Kohl für ihn mittlerweile wichtigere Dinge in seinem Sinn zu klären. Die Sowjetunion „kaute“ immer mehr am Nato-Doppelbeschluss, der sie mittlerweile vor ökonomisch unüberwindbare Probleme stellte. Sie hatten sich erst im Juni in Bonn getroffen und erstes Vertrauen zueinander gefunden.
Wir hatten schon gehört, dass Honni mit dem Machtantritt Gorbatschows im März 1985 „geahnt“ hatte, dass es nun mit der DDR zu Ende gehen und die DDR als erstes „geopfert“ werden würde. Darin sah er sich bestätigt, als Gorbatschow im Juni 1989 in Bonn zu Besuch weilte und vom Selbstbestimmungsrecht der Deutschen sprach. Als es dann im Oktober 1989 um den 40. Jahrestag der DDR zu Unruhen in Berlin kam, hörte Gorbatschow nicht auf seinen Botschafter in Ost-Berlin, der von einer Gefahr für die sowjetischen Truppen sprach und die Mobilisierung derselben forderte, sondern „Kohl versicherte Gorbatschow jedoch, daß die Lage in der DDR ruhig bleiben würde. Gorbatschow vertraute und glaubte dem Kanzler und sagte daraufhin, daß er „den Machthabern in Ost-Berlin unmißverständlich signalisiert habe, daß die Sowjetunion nicht wie am 17. Juni 1953 mit Panzern eingreifen werde. Damit war nicht nur eine „chinesische Lösung“ (Tian’anmen-Massaker am 3. und 4. Juni 1989 in Peking mit 2.600 Toten Aufständischen; d.V.) abgewendet, sondern auch ein eindeutiges Signal an Modrow ergangen: Die DDR konnte nicht mehr uneingeschränkt auf die Hilfe des „großen Bruders“ hoffen.“ (ebenda S. 113) So gesehen hatten die beiden Staatsmänner sich ein gutes Verhältnis geschaffen, dass sicherlich auch den einen oder anderen Sturm hätte überstehen können.
Die Sowjetunion unterstützte Modrow nur sehr zögerlich. Noch Anfang März hatte Modrow Michail Gorbatschow gebeten, „seine Position des Festhaltens an der Eigentumsfrage in der DDR“ (ebenda S. 87) zu unterstützen. „Am 27. März 1990 legte die Sowjetunion ihre Position in einem Antwortschreiben … dar, die als TASS-Erklärung veröffentlicht wurde. … Für Hans Modrow und auch für den neuen Regierungschef Lothar de Maizière (der durch die ersten freien Wahlen im März in der DDR nun Ministerpräsident geworden war; d. V), mußte die sowjetische Antwort eine Enttäuschung sein. Die sowjetische Erklärung enthielt neben der Kernforderung nach Anerkennung der >Gesetzmäßigkeit< der damaligen >Enteignungsmaßnahmen< … nur die >Komponente eines Bestandsschutzes für derzeitige Inhaber von betroffenen Vermögenswerten<. Modrows Forderung nach einer ausnahmslosen Festschreibung der DDR-Eigentumsordnung wurde … nicht erfüllt.“ (ebenda S. 87f)
Gorbatschow „verlangte“ lediglich die Achtung der damals getroffenen Entscheidungen, die auf Besatzungsrechtlicher Verfügungsgewalt vor der Neugründung der Länder durch die Militäradministration erlassen wurden. „Die Politikwissenschaftlerin Constanze Paffrath kam 2004 in ihrer Doktorarbeit zu dem Ergebnis, daß die Sowjetunion lediglich Straffreiheit für alle die Bodenreform betreffenden Maßnahmen gefordert habe, nicht jedoch ein Restitutionsverbot – dies sei eine Erfindung Kohls gewesen, um sein politisches Kalkül ins Gewand des Alternativlosen zu kleiden.“ (zitiert aus: Bodenreform: Ein Raubzug und seine Tradierung, jungefreiheit.de)
Im Dezember besuchte Kohl offiziell die DDR. „Bei dem Zusammentreffen am 19. Dezember 1989 einigten sich Bundeskanzler Kohl und Ministerpräsident Modrow auf die Einsetzung einer „Expertengruppe zur Klärung offener Vermögensfragen“. (ebenda S. 117f)
Doch die Experten trafen sich erst am 21. Februar 1990. „, weil die Bundesregierung die äußerst komplizierte Frage sehr zurückhaltend anging.“ (ebenda S. 118) und das Ergebnis der Wahlen abwarten wollte.
„Die Frage der Enteignungen wurde erst einmal ausgeklammert (bei den Verhandlungen zum Einigungsvertrag), schließlich durch einen Brief der beiden deutschen Außenminister an die sowjetische Führung als >unantastbar< erklärt. … 15. Juni (1990, d.V.): Ost-Berlin und Bonn unterschreiben die „Gemeinsame Erklärung zur Regelung offener Vermögensfragen“. Danach gilt grundsätzlich:
l Die Enteignungen von 1945 bis 49 bleiben unangetastet.
l Für Enteignungen der DDR gilt:
l Ausgleichszahlungen (das Wort „Entschädigungen“ wird bewusst vermieden) sollen nur in schwierigen Fällen gewährt werden, wobei der >sozialverträgliche Ausgleich< zu beachten sei. Dieses Papier taucht später als Artikel 41 (Anlage III ) im Einigungsvertrag wieder auf.“
Kleine Randnotiz dazu (ebenda Seite 93): Wir lesen da zur Festlegung Ausgleich oder Entschädigung im Rahmen der Erarbeitung des Einigungsvertrages zwischen Schäuble und Krause folgenden Schriftsatz:
„Der Begriff der „Ausgleichsleistungen“ als Entschädigung für „Enteignungen“ vor 1949 war zunächst strittig. Hier fürchtete Krause, diese Formulierung könnte bei den von der Bodenreform begünstigten Bürgern der DDR den Eindruck erwecken, sie würden zu Zahlungen herangezogen. Der Begriff „Ausgleichsleistungen“ wurde durch den Begriff „staatliche Entschädigungen“ ersetzt.
Ahnungslos hatte damit Günter Krause eine „Verbesserung“ der Position der Eigentümer ausgehandelt. Es ist ersichtlich, daß er keine Ahnung von der juristischen Bedeutung der Begriffe „Ausgleichsleistung“ und „Entschädigung“ hatte. Denn nur so konnte der spätere Rücktausch der Begriffe auf Intervention Wolfgang Schäubles widerspruchslos erfolgen.“ Dazu ist die folgende Fußnote vermerkt: „Krause berichtet in einem persönlichen Gespräch mit dem Autor sinngemäß, dass ihm die Begrifflichkeiten nicht klar wären. Die Bundesregierung hätte vielmehr täuschend behauptet, Ausgleichsleistungen würden mehr beinhalten als Entschädigung. Und da es ihm um den Schutz der Siedlerinteressen ging, stimmte er zu.“
Das machte Schäuble dann auch in der gemeinsamen Erklärung vom Juni 1990: „Bemerkenswert für die in der Gemeinsamen Erklärung gefundenen Lösungen war, daß Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble den Begriff in Ziff.1 Satz 4 „Entschädigungen“ in den Begriff „Ausgleichsleistungen“ ändern ließ.“ Und in seinem Buch „Wie ich über die deutsche Einheit verhandelte“, schrieb er: „Mir hat er (der Bundesfinanzminister, d. V.) es zu verdanken, wenn es nicht noch teurer wird.“ (ebenda S. 131f)
Noch Fragen Kienzle??
Aber weiter im „Text“:
Zum Mitschreiben: Die beiden Außenminister Genscher und Meckel, haben ein Schriftstück den Russen als die gemeinsame Festlegung beider Regierungen vorgelegt. Gorbatschow, der Adressat hatte also „nur“ Lesefunktion. Wenn das die beiden so erklären, … dann ist es ebenso.
„Die interessierte Öffentlichkeit setzte der Eckwert Nr. 1 („Die Enteignungen auf besatzungsrechtlicher bzw. besatzungshoheitlicher Grundlage … sind nicht mehr rückgängig zu machen.“ d. V.) in Erstaunen, die Betroffenen erlebten, völlig unerwartet, ihre erste böse Überraschung, denn bis zu diesem Zeitpunkt gab es keine öffentlichen Verlautbarungen der Bundesregierung, aus denen hervorgegangen wäre, daß die „Eigentumsfrage“ nicht im Sinne einer Wiederherstellung des früheren Eigentums gelöst werden würde.“ (ebenda S. 127) Und weiter führt C. Paffrath aus: „Nach außen sah mit der Veröffentlichung der Gemeinsamen Erklärung alles danach aus, daß es der Bundesrepublik in den Verhandlungen nicht gelungen war, die unter sowjetischen Recht erfolgten Eigentumsentziehungen unter dem politischen Vorzeichen einer „Rückgabe“ zu verhandeln, wie es mit den „Enteignungen“ nach 1949 (anscheinend) gelungen war.“ (ebenda S. 128)
Kohl führte im Januar 1991 aus: „Der Fortbestand der Maßnahmen zwischen 1945 – 1948 wurden von der Sowjetunion zu einer der Bedingungen über die Wiedervereinigung gemacht. Und ich sage klar: Die Einheit Deutschlands konnte an dieser Frage nicht scheitern.“ Im März 1998 erkläret Gorbatschow: „Für mich klingt es einfach absurd, wenn man mir unterstellt, ich hätte die Forderung nach Verbot der Restitution als Vorbedingung für meine Zustimmung zur Wiedervereinigung gemacht. Und die Frage nach Restitution des enteigneten Besitzes wurde auf der höchsten Führungsebene niemals angesprochen.“ Beide Zitate sind dem Interview SWR Report Mainz mit C. Paffrath vom Januar 2004 entnommen (siehe Anhang).
Und noch ein Zitat von Helmut Kohl, diesmal veröffentlicht im Spiegel 06/2004: „Wenn erzählt wird, die Sowjetunion habe Vorbedingungen für ihr Ja zur Einheit gestellt, dann stimmt das nicht.“
Was ist denn hier los?
Die Russen haben keine Konditionen gestellt, die Bundesrepublik segnet die Enteignungen ab, stellt sich mit auf den von Anfang an vertretenen Standpunkt der „alten“, nicht vom Volk gewählten Modrow Regierung und kloppt die kommunistischen Enteignungen fest?
„In der Fraktionssitzung der CDU/CSU Bundestagsfraktion am Morgen des 30. August 1990 regte sich Unmut gegen die Aufnahme der Gemeinsamen Erklärung in den Einigungsvertrag und gegen die damit in Zusammenhang stehenden Grundgesetzänderung. Zahlreiche CDU/CSU-Bundestagsabgeordnete zeigten sich von den getroffenen Vereinbarungen über die „Enteignungen“ der sowjetischen Besatzungszeit überrascht.“ (ebenda S. 166) Und weiter heißt es „Die Abgeordneten mussten den Ausführungen Schäubles zu diesem Zeitpunkt Glauben schenken.“ (ebenda S. 167)
In der ersten Beratung im Bundestag zum Entwurf des Einigungsvertrages am 5. September 1990 sagte Schäuble: “Man kann altes Unrecht nicht durch neues Unrecht rückgängig machen, sondern man kann am Ende das Problem nur dadurch lösen, daß man Ausgleichsleistungen beschließt.“ (ebenda S. 168) „noch erwähnte Schäuble die Vorbedingungen der Sowjetunion und der DDR in Bezug auf die Vermögensfragen nicht ausdrücklich, die den vorgelegten Verhandlungsabschluß nach Aussage der Bundesregierung geradezu erzwungen hatten, sondern er legte das Schwergewicht seiner Ausführungen auf die Unmöglichkeit, Unrecht rückgängig zu machen und die Pflicht, den inneren Frieden im Land zu erhalten.“ (ebenda S. 169)
Die Verhandlungsführer der Bundesrepublik hatten „nur“ den inneren Frieden im Blick, wollten nicht neues Unrecht „produzieren“? Ausschließlich von diesen heeren Zielen hatten sie sich leiten lassen?
Wer’s glaubt wird selig! Ich jedenfalls nicht!
Ein Wolfgang Schäuble, der aus dem Ländle kommt, wo jeder Pfennig zweimal umgedreht wird, bevor er ausgegeben wird. Der im Zusammenhang mit der Arbeit am Einigungsvertrag von sich selbst sagt, „Mir hat er (der Bundesfinanzminister, d. V.) es zu verdanken, wenn es nicht noch teurer wird.“ (ebenda S. 131f) Und diese Person, um mal „nur“ bei Schäuble zu bleiben, entdeckt plötzlich die Sorge um den Ossi, dass dem durch die Rückgabe der Enteignungen an die Besitzer vor 1945 neues Unrecht widerfährt?
Das war nie der Beweggrund eines Wolfgang Schäuble. Ihn hatte es doch auch nicht interessiert, wie den Ossis in den 80er Jahren der Zugang zu den Botschaften im Ausland vielleicht zu erleichtern wäre, damit der eine oder andere da aus der DDR raus käme. Nein, er erfüllte die Bitte eines Schalk-Golodkowskis im Januar 1985 nach Sicherung der Bundesdeutschen Botschaften: „Bonn möge prüfen, wie man DDR-Bürger davon abhalten könne, über bundesdeutsche Botschaftsgebäude in Osteuropa den Weg in den Westen zu wählen. Auch bauliche Veränderungen müssten erwogen werden. “ (Jürgen Nitz, 2001. Unterhändler zwischen Berlin und Bonn, edition ost, Das Neue Berlin. S. 125) Und die Bundesrepublik erfüllte umgehend den Wunsch des „Unrechtsstaates“ (siehe Spiegel 22/1997).
Nein, das war für KEINEN der westdeutschen Verhandlungspartner der Beweggrund. Es zeichnete sich ab, dass weit mehr Gelder von West nach Ost fließen werden müsse, als zunächst angenommen. Denn Kohl hatte versprochen, dass im Zusammenhang mit der Vollendung der deutschen Einheit es keine Steuererhöhungen geben wird.
Man (wer??, wahrscheinlich Anfang 1990) kam auf die Idee, wenn wir nun ALLE Betriebe (natürlich auch die, die zurückgegeben werden sollten) in die Treuhandgesellschaft überführen. („Vor 30 Jahren verabschiedete die letzte Volkskammer der DDR am 17. Juni 1990 das Treuhandgesetz. Die damit begründete Treuhandanstalt sollte die ostdeutsche Wirtschaft umstrukturieren und damit die Wiedervereinigung vorbereiten. Die Volkseigenen Betriebe wurden privatisiert oder stillgelegt.“ (zitiert aus: Die Geburtsstunde der Treuhand | bpb). Aus den Verkaufserlösen finanzieren wir dann so die Kosten der Einheit. Und ganz wichtig, unser Stammklientel hier im tiefen Westen, müssen wir keine Zusatzbelastungen aufbrummen. Wer weiß, ob die das Verstehen und akzeptieren würden.
Am 20. September 1990 wurde im Deutschen Bundestag abgestimmt: 440 Ja-Stimmen, 47 Nein-Stimmen und 3 Enthaltungen. Die am 21. September 1990 im Deutschen Bundesrat erfolgte Abstimmung erfolgte einstimmig für den Einigungsvertrages. Gleiches Prozedere in der Volkskammer: 299 Ja-Stimmen von 380 Abgeordneten.
Die Enteignung war Gesetz!
Nachdem die Menschen in der damalige SBZ im Ergebnis des Krieges den Russen „überlassen“ wurden (siehe: „Das muss mal gesagt werden“), sie die Folgen des Krieges über Jahrzehnte nahezu allein zu tragen hatten, verabreichte die Administration Kohl den Ossis den nächsten Hammer: Die „kommunistisch Beute“ wurde jetzt dazu verwendet, die Einheit zu finanzieren. Es erfolgte keine Rückgabe, wie noch wenige Wochen vorher versprochen wurde.
Und wieder zahlten die Ossis die Zeche (fast) allein, diesmal mit ihrem enteigneten Vermögen.
Wie war das alles mit dem ehernen Grundsatz der Bundesrepublik vereinbar, der im Art. 14, Abs. 1-3 GG zum Ausdruck kommt:
„(1) Das Eigentum … werden gewährleistet. …
(2) Eigentum verpflichtet…
(3) Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig. Sie darf nur durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes erfolgen, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt. … Wegen der Höhe der Entschädigung steht im Streitfall der Rechtsweg … offen.“ (GG)
Es kommt, wie es kommen musste, das Bundesverfassungsgericht wird angerufen, sich mit der Problematik des Einigungsvertrages hinsichtlich der Enteignungen 1945 – 1948 in der ehemaligen SBZ zu beschäftigen.
Am 22. Januar 1991 kommt es am Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe zur mündlichen Verhandlung vor dem Ersten Senat unter Vorsitz von Roman Herzog.
Das Gericht gab sich mit dem Bericht des Staatssekretärs Dieter Kastrup (SPD, Leiter der politischen Abteilung des Auswertigen Amtes; in dieser Funktion maßgeblich an den Zwei-plus-Vier-Verhandlungen beteiligt) und dem Plädoyer des Bundesministers der Justiz Klaus Kinkel „zufrieden“. Es wurden keine weiteren Zeugen, wie Schäuble, Krause, oder die beiden Außenminister geladen. „Warum wurden keine Zeugen der Kläger gehört, sondern nur der Berichterstatter der Beklagten. Aus welchem Grund unterließ es das Gericht, die alles entscheidende Frage an einen der sowjetischen Beteiligten (Gorbatschow, Schewardnadse) zu richten, ob es die Bedingung in Form eines generellen „Rückgabeverbotes“ der „Enteignungen“ tatsächlich gegeben hat.“ (ebenda S. 243)
„In seinem Urteil vom 23.April 1991 prüfte der Erste Senat … die getroffenen Regelungen zur „Nicht-Rückgängigmachung“ der „Enteignungen auf besatzungsrechtlicher und besatzungshoheitlicher Grundlage 1945 bis 1949“ ausführlich auf ihre Verfassungsmäßigkeit und stellte die Vereinbarkeit der geschlossenen Verträge mit der Verfassung fest.“ (ebenda S. 219)
In der Bewertung des Urteils auch in Auswertung der mündlichen Verhandlungen schreibt Paffrath: „Wir blicken auf einen weiteren Punkt, der uns in Staunen versetzt, den Bundesrichtern unter Vorsitz von Roman Herzog jedoch nicht eine einzige Nachfrage wert war: Warum gab sich die sowjetische Führung am Ende der Verhandlungen über ein hoch bedeutsames internationales Vertragswerk zwischen den vormaligen Siegermächten und den beiden Deutschen Staaten mit einem angehängten Brief der beiden deutschen Außenminister zufrieden, statt auf einer direkten Aufnahme ihrer Forderungen in den Zwei-plus-Vier-Vertrag zu bestehen? – Ging es doch nach Aussage der Bundesregierung um nicht weniger als eine kardinale Bedingung für die Wiedervereinigung von östlicher Seite.“ (ebenda S. 237)
„So bleibt der Eindruck, daß sich das Gericht als Grundlage seiner Urteilsfindung vor allem eine Bild der damaligen Einschätzung des Verhandlungsverlaufs seitens der beklagten Bundesregierung machen wollte, also den außenpolitischen Überlegungen ein großes Gewicht beimaß, ohne den wirklichen Hergang des Geschehens zu erblicken. Oder sollten wir sagen, ohne sogar erblicken zu wollen?“ (ebenda S. 243)
Nun schlugen die Wellen hoch. Wir wollen hier nicht die juristische Diskussion, wie bei Paffrath in beeindruckender Weise dargelegt, nachvollziehen. Aber ein paar ausgewählte Aspekte, die die Aussagen der Bundesrepublik als „nicht nachvollziehbar“ kennzeichnen, sollen hier nach Paffrath dargelegt werden.
1. „Dürfen wir noch von einer „pflichtgemäßen Einschätzung“ und damit vom pflichtgemäßen Regierungshandeln sprechen, wenn die Bundesregierung nach eigenem Bekunden nichts anderes getan hat, als die sowjetische und DDR-Bedingungen der deutschen Wiedervereinigung widerspruchslos und ohne jeden Abstrich hinzunehmen?“ (ebenda S. 254)
2. „Die Dokumente und Materialien lassen wenig von ihren Bemühungen erkennen, schon gar nichts von den eigenen politischen Zielvorstellungen der Bundesregierung hinsichtlich der Eigentumsfrage.“ (ebenda S 256)
3. „Oder, so muss sie sich fragen lassen, gibt es diese Beweisdokumente nicht? Werden sie deshalb nicht veröffentlicht, weil sie keine Entlastung für die Bundesrepublik enthalten, oder, noch schwerwiegender, weil sie ein pflichtwidriges Verhalten der Bundesregierung dokumentieren?“ (ebenda S. 257)
4. Wieso „hatten Bundeslandwirtschaftsminister Ignaz Kiechle und der damalige Regierende Oberbürgermeister von Berlin Eberhard Diepgen nicht schon im März 1990 die Festschreibung der Maßnahmen der „demokratischen Bodenreform“ und „Enteignung“ 1945 – 1949 vorausgesagt?“ (ebenda S. 257)
5. „Warum hat die Anzeigenkampagne des Hamburger Kaufmanns Heiko Peters das Interesse der angegriffenen Regierungsmitglieder nicht entscheidend gemehrt, endlich diejenigen Beweise auf den Tisch zu legen, die die Bundesregierung entweder von der Bezichtigung einer irrtümlichen Entscheidung oder sogar vom Vorwurf des Betrugs befreien? Und warum blieben diese heftigen Anfeindungen bis heute (2002; bis heute 2021 d. V.) ohne juristisches Nachspiel?“ (ebenda S. 257)
6. „Hatte nicht der erste Staatsvertrag zur Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion bereits in den Bestimmungen über den Staatshaushalt und die Finanzen bestimmt, „daß das volkseigene Vermögen vorrangig für die Strukturanpassung der Wirtschaft und für die Sanierung des Staatshaushaltes in der Deutschen Demokratischen Republik zu nutzen.“ sei und war damit nicht schon eine politische „Marschrichtung“ abgesteckt, die vor und unabhängig vom Ergebnis von Verhandlungen mit der Sowjetunion sowieso schon feststand?“ (ebenda S. 257)
7. … es reicht!!
Kommen wir zum Schluss, und lassen final Constanze Paffrath resümieren:
„Wie sich aufgrund aller zur Zeit vorliegenden und hier ausgewertete Quellen und der aus ihnen folgenden Rekonstruktion der aufeinander geschlüsselten Handlungen der in der Bundesrepublik politisch Verantwortlichen für die Einheit Deutschlands ergibt, hat die Bundesregierung Kohl die Wiedervereinigung Deutschlands entgegen ihren stets wiederholten Beteuerungen, nicht um den Preis der Hinnahme der zwischen 1945 bis 1949 oktroyierten „Enteignung“ in der damaligen sowjetischen Besatzungszone erlangt. Vielmehr ist es die Regierung der Bundesrepublik Deutschland selbst gewesen, die diesen vermeintlichen Preis hinter verschlossenen Türen erfand und für sich beschloß, ohne dabei von irgendwelchen äußeren politischen Zwängen genötigt worden zu sein. Und nicht eine fremde Macht, sondern ausschließlich sie selbst war die treibende Kraft, die den von ihr in eigener Regie gefaßten und vor der Öffentlichkeit geheim gehaltenen Plan in die Tat umsetzte. Ausschließlich der Regierung der Bundesrepublik Deutschland ist die Verantwortung dafür anzulasten, daß das in der sowjetischen Besatzungszone in den Jahren 1945 bis 1949 konfiszierte Vermögen nach der Wiedervereinigung nicht an deren Eigentümer zurückgegeben wurde. Und das geschah, so unsere Überzeugung, aus Motiv, mit dem Gegenwert dieses Eigentums die mit der Wiedervereinigung unvermeidlich auf die Bundesrepublik zukommenden Kosten zu decken und eine ansonsten unvermeidliche Steuererhöhung zu vermeiden. Dabei handelte es sich um einen Vermögenswert von ca. 500 Mrd. D-Mark.“
Um diese frohe Botschaft, die Wiedervereinigung sei gratis zu haben, den Wählern im Bundeswahlkampf 1990 verkünden zu können, mußte die Bundesregierung die „kommunistische Beute“ aus der ehemaligen Besatzungszone in ihre Hände bringen. Wir wissen mit dieser Untersuchung, wie sie es anstellte, diese „Beute“ in ihre Verfügungsgewalt zu bringen.
Warum aber, … war es der Bundesregierung so wichtig, sagen zu können, daß es keine Steuererhöhungen … geben würde?
„Oskar Lafontaine, welcher zusammen mit beachtlichen Teilen der SPD-Elite der Wiedervereinigung Deutschlands skeptisch, ja ablehnend gegenüber stand, wies für den Fall einer tatsächlich eintretenden Vereinigung auf unabwendbare und enorme Steuererhöhungen für die Bundesbürger hin und brachte damit die „Kosten“ einer möglichen Wiedervereinigung auf die Tagesordnung der Innenpolitik.
Irgendwann im Zeitraum 1989 bis zum 5. März 1990 (dem ersten Hinweis auf die tatsächlichen Absichten der Bundesregierung im „Spiegel“) in diesem nicht näher eingrenzbaren Zeitraum wurde hinter verriegelten Türen, wahrscheinlich im Finanz- und Innenministerium beschlossen, das aus den Konfiskationen der sowjetischen Besatzungszone stammende Vermögen den Eigentümern nicht zurück gegeben wird. Die Geldquelle, mit deren Hilfe Steuererhöhungen vorerst auszuschließen waren, und die den entscheidenden Wahlvorteil sichern sollte, schien gefunden, der „Deckungsvorschlag“ formuliert: Die Bundesrepublik Deutschland (d. h. der Fiskus), würde mit dem nicht zurückzuerstattenden Vermögen für den Aufbau Ost benötigten Mittel erlangen, ohne Steuern erhöhen zu müssen. Das einbehaltene Vermögen könnte verkauft und mit den Einnahmen die Wiedervereinigung Deutschlands finanziert werden.“ (ebenda S. 380ff)
Das folgende Zitat hat Fr. Dr. Paffrath dem Vorwort vorausgestellt:
„Staaten, die das Recht nicht achten, verkommen zu Räuberbanden.“ Aurelius Augustinus (354 – 430)
Jetzt wird es kurios! Also ich möchte mal behaupten, dass kein gemeiner Amtsrichter auf so eine juristische Onanie gekommen wäre, wie die hohen Richterinnen und Richter des BVerfG. Plötzlich ist von nicht notwendigen Beweisen die Rede, Zeugen der Klägerseite werden nicht zugelassen, sondern von irrigen Annahmen, auf die jetzt Rücksicht genommen werden „muss“ im zweiten Spruch des BVerfG vom 23.04.2004:„Interessanterweise hat das Bundesverfassungsgericht ja dann auch noch gesagt: Es kommt gar nicht darauf an, ob die Bundesregierung damals zu Recht davon ausgegangen sind, dass die Sowjets das zu einer Bedingung machen. Es käme lediglich darauf an, dass die Bundesregierung gedacht hat, dass es darauf ankommt, und die Wiedervereinigung dadurch nicht gefährden wollte.“ (zitiert aus: https://www.deutschlandfunk.de/30-jahre-mauerfall-schmerzhafter-umgang-mit-der-bodenreform-100.html)
Die Rolle von Roman Herzog wird immer dubioser. Er schwang sich als Berater der beiden Parlamente in Vorbereitung der Beschlüsse zum Einigungsvertrages im Jahre 1990 auf (was er natürlich auf das Heftigste abstritt, obwohl er zeitnah nach Ost-Berlin zur Volkskammer „musste“!!) und sprach anschließend „Recht“ am BVerfG in dieser Angelegenheit. Schon im Grundlagenstudium hören die angehenden Juristen: Das geht gar nicht, da ist der Gute befangen. Nicht aber ein Präsident des Verfassungsgerichtes, denn diese sind aus anderem Holz geschnitzt als ich und du!
Was er auch eindrucksvoll bewies.
Im Focus 21/1994 „Hilfe kam von Herzog“ spricht der Celler Rechtsanwalt Albrecht Wendenburg davon, dass es „sich hier nach meiner Überzeugung um den größten Verfassungsskandal in der Rechtsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland (handelt):“
Als „Dank der Nation“ wird er von 1994-1999 Bundespräsident.
Wie die Macht doch korrumpiert! Kohl hat zweimal Recht gebrochen: Einmal mit der Lüge von den Bedingungen der Sowjetunion für die Wiedervereinigung und dann im Rahmen der Spendenaffäre der CDU 1999, sein gegebenes Wort über das gesamte Recht stellte, sogar über geltendes.
Und Herzog?
Es reicht bis Oberkante Unterkiefer…
Und schon wieder: Dass muss mal gesagt werden… Was denn noch alles?